Funktioniert bei dir der „Immunschutz“ gegen Veränderung auch so gut?

Seit nunmehr einem Jahr darf ich ein Projekt meines Netzwerkpartners, der businessforce AG begleiten. Es handelt sich um eine systemische Transformation in einem Großkonzerns, charakterisiert durch mehr Mitarbeiterbeteiligung und die Vergabe von Entscheidungskompetenzen in die Organisationstiefe. Ein dynamischer, intensiver und spannender Prozess mit vielen wunderbaren und engagierten Menschen (und ein Grund, warum ich hier seit längerem nicht mehr aktiv gewesen bin).

Was mich immer wieder fasziniert an solchen Transformationen – ob in Unternehmen, die z. B. mehr Eigenverantwortung in Teams geben wollen, bei Unternehmerteams, die sich vornehmen, anders miteinander umzugehen, oder bei meinen eigenen Versuchen, mein Verhalten zu ändern: Wir wissen, dass stetige Veränderung zum Leben dazu gehört. Und obwohl wir dies erkennen, scheinen wir Menschen offenbar eine gewisse Immunität gegen Veränderung entwickelt zu haben. Ein Impuls, der immer dann zum Tragen kommt, wenn es ernst wird mit dem „Wollen der Veränderung“. Oft sind wir uns dieses Widerstands nicht einmal bewusst – selbst wenn wir die Veränderung eigentlich gut finden und ihr zustimmen, machen wir manchmal … nichts. Brené Brown schreibt auf Ihrer Seite so schön: I don’t like to think of myself as someone who’s averse to change. But, man, am I averse to change.“ Als hätten wir, oder zumindest die meisten von uns, einen wirksamen Impfstoff namens „ImmuNixChange“ erhalten.

Als ich aus Spaß den Begriff googelte, stieß ich auf ein Buch der Harvard Dozenten Robert Kegan und Lisa Lahey von 2009, das ich bis dato nicht kannte und nur auf Englisch gibt: „𝐈𝐦𝐦𝐮𝐧𝐢𝐭𝐲 𝐭𝐨 𝐂𝐡𝐚𝐧𝐠𝐞: 𝐇𝐨𝐰 𝐭𝐨 𝐎𝐯𝐞𝐫𝐜𝐨𝐦𝐞 𝐈𝐭 𝐚𝐧𝐝 𝐔𝐧𝐥𝐨𝐜𝐤 𝐭𝐡𝐞 𝐏𝐨𝐭𝐞𝐧𝐭𝐢𝐚𝐥 𝐢𝐧 𝐘𝐨𝐮𝐫𝐬𝐞𝐥𝐟 𝐚𝐧𝐝 𝐘𝐨𝐮𝐫 𝐎𝐫𝐠𝐚𝐧𝐢𝐳𝐚𝐭𝐢𝐨𝐧“.

Im folgenden findet Ihr ein paar Einblicke daraus:

Barrieren der Veränderung durch konkurrierende Ziele


Obwohl wir uns nach Veränderung sehnen, scheinen wir unbewusst Barrieren zu errichten, die uns genau daran hindern.
Diese Barrieren sind oft so subtil und tief verankert, dass wir sie erst erkennen, wenn wir aktiv danach suchen.

Widerstand gegen Veränderung ist nicht einfach nur eine Opposition oder das Resultat einer gewissen Trägheit. Vielmehr kanalisieren wir, trotz einer echten Bereitschaft zur Veränderung, unbewusst unsere produktiven Kräfte in Richtung eines verborgenen, konkurrierenden Ziels. Das erzeugt eine Art dynamisches Gleichgewicht, das die Veränderungsbemühungen blockiert. Das wirkt zwar wie Widerstand, ist aber tatsächlich eine Art persönliche Schutzmechanismus gegen Veränderungen.

Dabei handelt es sich um

  1. Konkurrierende Verpflichtungen (Competing commitments)

Menschen haben oft unbewusste, konkurrierende Verpflichtungen oder Ängste, die ihrer Verpflichtung zur Veränderung entgegenstehen. Zum Beispiel könnte jemand, der behauptet, er wolle mehr Zeit mit seiner Familie verbringen, gleichzeitig Angst haben, dass er, wenn er weniger arbeitet, seinen Job verlieren könnte. Diese konkurrierenden Verpflichtungen können dazu führen, dass Menschen widerstandsfähig gegen Veränderungen sind.

  1.  Glaubenssätze und grundlegende Annahmen (Big Assumptions)

Hinter konkurrierenden Verpflichtungen stehen oft grundlegende Annahmen, tief verwurzelte Überzeugungen, Motive und Ängste, die unser Verhalten prägen. Diese Annahmen sind oft so tief in uns verankert, dass wir sie nicht einmal erkennen, aber sie können eine starke Wirkung auf unser Verhalten haben. Zum Beispiel kann ein Unternehmer sein Unternehmen ausbauen wollen, unbewusst aber Angst haben, dass das Wachstum zu mehr Stress und Konflikten führt.

 5 Schritte zur „De-Immunisierung“


Die beiden Autoren schreiben (Zitat): „Die Veränderung der Denkhaltung (mindset transformation) erfordert das Überwinden von blinden Flecken, das Aufdecken unserer konkurrierenden Verpflichtungen und das Befreien von einschränkenden Annahmen.“

Kegan und Lahey haben das „Immunity to change (ITC)“ Verfahren entwickelt, das Menschen und Organisationen helfen kann, die „konkurrierende Verpflichtungen“ als auch die „Big Assumptions“ zu identifizieren und zu hinterfragen. „Die Veränderung der Denkhaltung (mindset transformation) erfordert das Überwinden von blinden Flecken, das Aufdecken unserer konkurrierenden Verpflichtungen und das Befreien von einschränkenden Annahmen.“

Die 5 Schritte, die sie vorschlagen, kannst du für dich oder mit deinem Team machen:

  1. Lege dich auf eine Veränderung fest: Identifiziere ein konkretes, persönliches oder berufliches Ziel, das du erreichen möchtest (z. B. nicht zu allem „Ja“ sagen). Dieses Ziel sollte ambitioniert, aber realistisch sein und eine echte Verbesserung darstellen (-> SMART). So wie jeder Coaching Prozess startet.
  2. Identifiziere hinderliche Verhaltensweisen: Beschreibe als nächstes ganz ehrlich, welche Verhaltensweisen dich (bisher) daran hindern, dein Ziel zu erreichen. Sei dabei ehrlich zu dir selbst, schwindel dich nicht selber an und sei konkret, indem du auf die Handlungen, Verhaltensweisen oder Unterlassungen eingehst, die für das (bisherige) Scheitern verantwortlich sind.
  3. Decke die konkurrierenden Verpflichtungen auf: Stelle dir vor, was das Schlimmste wäre, wenn du aufhörst, die Handlungen aus Schritt 2 (also die hinderlichen Verhaltensweisen) zu praktizieren und stattdessen das Gegenteil tust. Überlege, welche verborgenen Verpflichtungen oder Ängste hinter den identifizierten Verhaltensweisen stehen könnten. Oft handelt es sich dabei um unbewusste Glaubenssätze oder grundlegende Annahmen, die deinen Widerstand gegen Veränderung erklären. Identifiziere diese und hinterfrage sie.
  4. Arbeite deine grundlegenden Annahmen heraus: Sobald du deine konkurrierenden Verpflichtungen klar definiert hast, identifiziere die zugrunde liegenden Annahmen. Frage dich: „Warum wäre es so schlimm, wenn das, was ich vermeiden möchte, passiert? Warum habe ich so große Angst davor?“ Einige der Annahmen, die du entdeckst, können stimmen – andere nicht. Indem du diese tief verwurzelten Gefühle aufdeckst und objektiv betrachtest, kannst du beginnen zu sehen, ob die Grundlagen deines hinderlichen Verhaltens irgendeine wirkliche Wahrheit für dich enthalten.
  5. Führe kleine Tests/MVPs mit der Veränderung durch: Entwerfe kleine, überschaubare Experimente, um deine konkurrierenden Verpflichtungen und großen Annahmen zu testen und herauszufordern. Ziel dieser Tests ist es, herauszufinden, ob deine Annahmen tatsächlich zutreffen, oder ob es Raum für Veränderungen und Wachstum gibt. Wenn du beispielsweise Schwierigkeiten hast, Aufgaben zu delegieren, weil du befürchtest, dass sie nicht richtig erledigt werden, könnte ein Test darin bestehen, eine kleine, nicht kritische Aufgabe zu delegieren und zu sehen, was passiert. Wenn die Aufgabe erfolgreich abgeschlossen wird, könnte dies dazu beitragen, die Annahme in Frage zu stellen, dass nur du die Arbeit richtig erledigen kannst (und ganz klar – keiner kann es so gut wie du ;-))

Man in the mirror

Genau wie meine Erfahrungen aus über 25 Jahren Veränderungsbegleitung – und -beobachterin in Unternehmen mich gelehrt hat, dass der Erfolg der Transformation an die Bereitschaft des Entscheiderteams geknüpft ist, sich selbst zu verändern, so betonen auch Kegan und Lahey die Bedeutung der persönlichen Entwicklung und Transformation. Führungskräfte und Unternehmer, die sich ihrer eigenen Immunität gegen Veränderung bewusst sind und daran arbeiten, diese zu überwinden, sind effektiver und besser in der Lage, Veränderungen in ihren Organisationen zu fördern. Auch wenn das nicht alle hören wollen ;-).

Selbst Michael Jackson hat schon 1987 in „Man in the mirror“ gesungen:

„I’m starting with the man in the mirror.

I’m asking him to change his ways

And no message could’ve been any clearer

If you want to make the world a better place

Take a look at yourself and then make a change.”

Reflektion & Innenschau

Wenn ihr darauf Lust habt, dann könnt ihr Euch als Teams Räume für Selbstreflexion schaffen. Dies könnt ihr durch regelmäßige geplante Zeitfenster zu dem Thema, Reflexionsübungen oder im Rahmen von TeamCoaching durchführen. Jede(r) Einzelne von Euch kann sich Zeit für Selbstreflexion nehmen, unterstützt durch Journaling, Meditation oder persönliches Coaching.

Falls Ihr mit mir darüber sprechen wollt, dann sucht euch hier einen passenden Termin aus:

https://outlook.office.com/bookwithme/me

Diese Texte haben mich inspiriert:

https://hbr.org/2001/11/the-real-reason-people-wont-change

https://www.gse.harvard.edu/hgse100/story/changing-better

https://www.mindtools.com/a4l75hx/immunity-to-change

 



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